Operation am kalten Herzen

Zu: Thoams Glavinic, Das Leben derr Wünsche


Lange Zeit dachte ich, das geht schief, da hat einer zu viel Freud gelesen, da konstruiert er noch den nightmare als Wunscherfüllung, da verrennt er sich, der Glavinic, so wie sein Protagonist. Lesbar dennoch, ich folgte den Wirbeln. Fand einen sehr männlichen Erzählstil, eine männliche Perspektive, technisch noch bis in die Konkretion (Heizung nachfüllen, Autos, Schnellboot), Emotionen gegenüber konsequent hilflos rätselnd. Ausgeliefert einem Leben in minimaler Selbsterkenntnis.

Also muss sie von „Außen“ kommen, die Selbsterkenntnis, aus dem Wirken des mysteriösen Wunscherfüllers, der Jonas’ inneres Wunschgeflecht, diesem unbekannt, in die Welt zerrt und entwirrt, dafür diesen aber nicht weniger verwirrt.. Oder doch alles nur Zufall, wer kann das wissen? Der Protagonist jedenfalls nicht – und der Autor mag ihm nicht zu Hilfe kommen. Denn er, der Autor, hat ja Jonas hingestellt, und ist selbst der experimentierende Alchemist mit den Wünschen. Welche Wünsche kann einer haben, der ein ganz normales, eher doch langweiliges Leben führt, unperfekt, aber nicht wirklich unzufrieden? Und so katapultiert in einer Art doppeltem Spiegelverhältnis der Autor aus seiner Figur heraus, was mit ihr geschähe, wenn…

Seltsam leblos wirkt das oft, nicht nur an den geisterhaften Stellen lückenfüllenden Surrealismus’mit Untoten, auch sonst. Das Leben der Wünsche ist gar kein Leben, das Leben besteht auch aus Widerstand und Veränderung (der Wünsche selbst) und Konfrontation mit Unerwünschtem – und wahrscheinlich, das Buch legt das nahe: Aus Verzicht, um der Menschen willen, die konsequente Wunscherfüllung eines Einzelnen kommt ohne eine Anhäufung von Leid bei anderen nicht aus. Passend dazu erscheint die Vorstellung Jonas’, dass vielleicht die anderen gar nicht wirklich leben, denn ihr Schmerz hat keinen Sinn. Ihr Schmerz hat keinen Sinn, stört ihn aber auch nicht. Auch das eine konsequente, prototypische männliche Perspektive – diese Wünsche sind fürsorge- und empathiefrei. Die Kinder versorgt wissen wollen, aber nicht versorgen wollen, die Geliebte haben wollen, aber deren Bedürfnisse in keiner Sekunde erkennen wollen.

Und so funktioniert die Konstruktion dann doch: Das Leben als radikale Wunscherfüllung eines, der nie nahe kommt den anderen – da hat die Geliebte am Ende eben die Bedürfnisse, die er auch hat und da sind die Kinder beschwerdefrei gut versorgt. Da fallen Späne zwischendrin, wo gehobelt wird. Und da ist auch das Ende nur konsequent: wunschlos glücklich er, die anderen nicht wichtig, muss der Vorhang fallen. Im Film: der Abspann.

Und das ist dann doch alles Ideologie, Ideologie des Verzichts, klassischster Freud, der warnte, dass die Triebe, dürften sie alles, zerstörerisch wären wie sonst was, asozial eben. Und auch Glavinic schafft keine utopia reale, in der auch nur irgendein gemeinschaftliches Leben als glücklicheres hervorschiene. So bleibt es bei einer fulminant durchgearbeiteten Entsagungsliteratur, auf dem Grunde einer beklemmenden Kälte, die Eros mit Sex verwechselt und Menschen in ihrer Monadenhaftigkeit zeigt. Oder wie Adorno gesagt hat: Wir wollen alle geliebt werden, weil wir nicht lieben können.
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