Das fremde Mädchen
Den Koffer fallen lassen, gleich nach der Grenze. Die Schuhe schnell abziehen und im Sand vergraben. Sie ist eine Flüchtlingsfrau und deswegen über jedes Maß vorsichtig. Am Strand ist weit und breit niemand, der ausgerechnet ihre abgelaufenen russischen Galoschen stehlen würde. Vorsicht bemisst sich aber daran, wie wichtig etwas ist. Dieses Galoschen sind die einzigen, die sie besitzt. Und sie hat sich zudem geschworen, sollte sie jemals in Sicherheit sein, sie für immer auf zu bewahren. Sie will sie an die Wand hängen in einem neuen Zuhause. Und sie einmal irgendwann ihren Enkeln zeigen. Jetzt, jetzt ist es soweit. Sie würde ein neues Zuhause bekommen. Sie würde bestimmt auch Enkel bekommen. Sie rannte auf das fremde Meer zu, ein kaltes Meer wie früher und sie ließ ihre nackten Füße erschauern von einer ersten Welle. Die Welle verband sie mit einem anderen Ufer hochdroben an der Nehrung. In diesem Moment, mit dem Blick auf den diesigen Horizont, fühlte sie die Sicherheit wirklich. So verbunden mit einem Blick in die Ferne, der Punkt ihrer Herkunft, als könnte sie ihn spüren. Die Füße jedoch in einem freien Land, da war sie sicher. Die Mutter hatte sich in dem schmalen Zimmer, das man ihnen zugewiesen hatte, hingelegt. Die Mutter war immer schon eine ausgezeichnete Schläferin gewesen. Das hatte sie gerettet. Bestimmt würde sie jetzt vierzehn Stunden oder noch länger schlafen und sich vorher keinen Deut um ihre neue Umgebung kümmern. Cathryne musste grinsen. Sie hatte alle Zeit sich zu orientieren.
claireg. - 22. Aug, 13:39