In der Stadt

Samstag, 23. August 2008

Das Einhörnchen

Als ich Kind war, waren Eichhörnchen eine Sensation auf tiefen Wegen im Pfälzer Wand, wo wir taten, was mein Vater gerne tat und Wandern nannte, für uns eine Pflicht. Die Eichhörnchen waren selten und flüchtig und sehr scheu. Kurze aufmerksame Lichtblicke bei diesen ansonsten eher ereignislosen Übungen, die darin bestanden, mit noch sehr kurzen Beinen den langen väterlichen Schritten hinterher zu kommen.
Mittlerweile sind die Eichhörnchen in die Großstadt eingefallen und gar nicht mehr so scheu. Ich als Vulgärbiologin wundere mich - dachte ich doch, Vorsicht und Scheu sei ein genetisches Programm, das sich nur in einer unüberschaubar großen Zahl von Generationenfolgen ändert. Das ist nicht der Fall, jedenfalls nicht, was den Umgang mit Menschen betrifft, vielleicht, weil sie im genetischen Programm diverser Tiere so wenig vorkommen wie Autos. Als im Juli die Amseln brüteten, waren sie auch erstaunlich unbekümmert, wenn wir unter ihrem Nest grillten und lachten. Fast als ob sie sich unserer sicherer seien, schienen sie schier mit den Menschen verbündet zu kommunizieren, wenn die Elster kam, die sie wirklich und zu Recht fürchteten. Und am Ende überlebte auch nur ein Amseljunges und machte seine eifrigen Flugübungen: Die anderen beiden hatte die Elster geholt.
Nun also "mein Eichhörnchen". Es kommt über die Mauer vom Gelände, wo immer die "schwierigen Jugendlichen" sind und manchmal eine luschige Polizeirazzia stattfindet, klettert äußerst anmutig den Baum hoch und runter und streicht dann gewissenhaft durch den kleinen, aber feinen Garten. Jeder, aber wirklich jeder Blumentopf, in dem irgendetwas wächst, gedeiht oder rudimentär vor sich hin kümmert wird untersucht, beschnuppert, hier wird mal genauer gegraben, dort auch. Nach der ersten Runde springt das grazile schöne Tier auf die längst pensionierte Teppichstange, läuft kokett hin und her, eine Art Schwebebalkenübung, sehr ansehnlich, nach der zweiten Runde nimmt es auf dem weißen Palstiksessel mir gegenüber Paltz, guckt neugierig hier und dorthin, und macht sich dann nochmal durch die Blumentöpfe.
Ich bewege mich die ganze Zeit kaum. Ich vermute immer noch, dass Eichhörnchen scheu sind. Und ein bisschen sind sie das auch immer noch.

Samstag, 17. März 2007

German surprise

Wieder einmal habe ich die Nummer meiner Tanksäule vergessen. Fast klemmt mich die Schiebetür ein, als ich es merke. Ein paar Schritte muss ich zurück. Zum Schalter gehe ich dann sehr hastig, als müsste ich die auch für fremde Augen sichtbare Verzögerung exakt aufholen.
Den jungen Mann beachte ich kaum. Ich sage ihm die Nummer, jetzt weiß ich sie ja. Zigaretten noch. „Eine große rote Gauloise, bitte.“ Das war wieder mal zu schnell. „Wie bitte?“ Ich wiederhole. Er nimmt eine Schachtel und legt sie vor mich hin. Aus dem Lagerraum, unsichtbar, ruft ein Mann: „Du, du Pakistani, verstehst du nichts? Du kannst kein Deutsch, muss man dir alles zweimal sagen.“ Der Mann am Schalter, fast noch ein Junge, hellbrauner Teint, bleibt ziemlich ungerührt.“ „Ich bin aus Bangladesch“, brüllt er zurück, gelassen. Wieder aus dem Off „Wo bist du her? Ach, was weiß ich … aus dem Urwald, kann ich mir nicht merken.“
Da kommt der andere aus dem Lagerraum, klein, stämmig, strahlend … und rabenschwarz. Redet weiter: „Kannst gar kein Deutsch, was weiß ich, wo du her bist.“ „Wo sind Sie denn her?“, frage ich. Er wirft sich fröhlich in die Brust. „Aus Ghana“, sagt er stolz. „Ich bin aus Bang-La-Desch,“ sagt der andere. Dann abwinkend: „Aber ich habe deutschen Pass.“ „Ach ja, ich habe auch bald deutschen Pass. Dann habe ich deutschen Pass und kann besser sprechen als Du!“
Noch als ich rausgehe, lachen die beiden. Den Osten der Republik – und wohl auch so manchen provinziellen Landstrich im Westen – wo man solche Dialoge sicher nicht hört, beneide ich nicht.

[Edit] Dazu passt die Formulierung:
Immer mehr Menschen aller Haut-, Hosen- und Haarfarben

Freitag, 16. März 2007

Freitag Abend

Ich stürme aus dem Haus. Dicke Luft. Der Mann brät Forellen, dicke Luft davon und außerdem. Ich versuche etwas, worin ich früher supersouverän war: alleine in der Kneipe sein. Damals fühlte ich mich exotisch. Ich war wohl (nach Jahren) immer noch so neu Großstädterin, dass ich völlig unschuldig war. Ich hatte keinen Mann, sondern Männer und sowas wie einen Freifahrschein Schutzmantel. Jetzt umzirkle ich das Karree. Kaufe eine Zeitung. Entscheide mich gegen die kurdische Anarcho-Kneipe, obwohl die mir in ihrem verwegenen Nichtkommerz-Konzept die liebste gewesen wäre. Theoretisch. Ich gehe vorbei. Drinnen sitzen wenige Männer. Bis auf einen gefesselt vom Fernseher. Fußball. Einer brütet allein über seinem Bier. Mir zu heiß anstrengend, bin nicht mehr so souverän.
Die Kneipe an der Ecke, ganz schön voll schon kurz vor 8. Ich bestelle ein Kristall und packe meine Zeitung aus. Stellenanzeigen „lesen“, die ja doch nicht für mich geschrieben sind. Penetrant wiederholte Überlegung, ob ich ins Callcenter gehen soll. Nicht ernst gemeint, auch nicht so witzig. Dann denke ich an die P. aus dem Kurs. Die P. war im Krankenhaus, die kalten Knoten, die sie präventiv…, die waren dann doch schon bösartig. Aber noch im Frühstadium, hat sie mir gemailt. Glück im Unglück schreibt sie. Jetzt muss sie verarbeiten, nachdem sie einige Therapien durchgestanden hat. Die Krankenkasse lässt sie zum Glück ein paar Tage an die Ostsee. Ich bin froh, dass die P. so ist, wie sie ist. Ich denke intensiv an sie.
Wir werden was zusammen machen…
Die Kneipe füllt sich immer weiter. Die Kellnerin scheint mich zu kennen. Ich bin jetzt im Kiez. Das ist nicht mehr exotisch. Ich trinke das Bier leer. Falte die Zeitung zusammen. Schlendere nach Hause. Die Forellen sind gerade fertig. Sie sind sehr gut.
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