Krimispiel im Eis

Anne Holt kündigt in ihrer Widmung zu "Der norwegische Gast" Spielereien an – und in der Tat spielt sie ziemlich mit dem Genre. Mehr als deutlich, dass die Versuchsanordnung dem „Mord im Orient-Express“ folgt – umso besser, dass die Lösung dann doch anders ist, obwohl der krimierfahrene Leser noch kurz in die Irre geschickt werden soll. („Ist es nicht seltsam, dass so viele den Ermordeten kannten“?) Nicht ganz so auffällig ist die Übernahme eines Motivs aus dem vielleicht weniger bekannten „Feng-Shui-Detektiv“ von Nury Vittachi. Auch dort wird mit einem Eiszapfen gemordet – und bereits Vittachi nimmt wie nun auch Holt Bezug auf die Lammkeule Roald Dahls – es geht um Mordwaffen, die nicht sichergestellt werden können, da sie sich auflösen. Nicht auszuschließen, dass es noch sehr viel mehr Zitate gibt, die mir entgangen sind.

Ein Spiel also an der Grenze des Plagierens, die jedoch nie überschritten wird, sondern mit dem deutlichen Erfolg, rund um die Ermittlerin wider Willen, Hanne Wilhelmsen, eine ganz eigenständige Atmosphäre entstehen zu lassen. In der Leseprobe gefiel sie mir gleich mit ihrer ruppigen Art, auf Autonomie bedacht, blitzgescheit und eben der Autonomie wegen etwas misantrophisch. Ihre Distanz zu anderen Menschen muss sie, eingeschlossen mit diesen, langsam aufgeben. Meisterhaft ist dabei, wie der Blick des Lesers auf das immer wieder Mal bizarre Geschehen im Fluchthotel im Norden gebunden wird an die Wahrnehmung der Hanne Wilhlemsen, die zur Passivität verurteilt im Rollstuhl sitzt. So entsteht ein seltsam statischer Tunnelblick, Dinge purzeln plötzlich, kleine Rasereien der Eingeschlossenen finden statt, aber wie Hanne kann der Leser kaum den point of view auf ein Gesamtpanorama richten, scheint vieles nicht wirklich mitzubekommen und muss im Kopf der Ermittlerin, der gegen Ende unter heftiger Koffeinzufuhr nur noch so rattert, Platz nehmen. Das macht einen manchmal richtig nervös und wie Hanne ist man diversen Nebenereignissen skurril-unangenehmer Art ausgesetzt, von denen man nicht weiß, wohin das nun führen soll. Die Atmosphäre sprenkelt immer wieder bedrohliche Segmente in eine ansonsten fast schon friedliche Eiszeitwelt.

Alles in allem ein großartig gemachtes Krimispiel, dessen Titel ich jedoch nicht verstehe.
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